Jenseits der Rache by Pauchard Esther
Autor:Pauchard, Esther [Pauchard, Esther]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783906786568
Herausgeber: Lokwort
veröffentlicht: 2014-07-08T22:00:00+00:00
15. Kapitel
Als ich am Montagmorgen mit verspannter Nackenmuskulatur und zusammengebissenen Zähnen meinen Arbeitsweg abfuhr, begrüsste ich die neue Arbeitswoche mit der resignierten Gewissheit, dass alles besser sein würde als das vergangene Wochenende. Ich war froh, mich in die Klinik flüchten zu können. Marc hatte seine Angst und Ratlosigkeit in vorwurfsvolles, verkrampftes Schweigen umgesetzt, in eine bissige Reizbarkeit, die mich gleichermassen deprimierte und erzürnte. Als der engagierte Vater, der er war, hatte er versucht, seine Gefühle vor Jana und Mia zu verbergen, sich natürlich und unbeschwert zu geben, aber auch sie hatten die Gewitterwolken gespürt, die sich zwischen ihren Eltern auftürmten, und ihrerseits launisch und empfindlich reagiert. Ich hatte sie, zerrüttet von dem wortlosen Zweikampf mit meinem Mann, häufiger angeschrien, als es nötig gewesen wäre, hatte immer wieder die Nerven verloren, was meine Schuldgefühle weiter verstärkte.
Ich verstand Marcs Sorge und teilte seine Angst, aber seine Anklagen mir gegenüber, seine anhaltende Missbilligung taten mir weh. Marc verstand nicht oder weigerte sich zu verstehen, dass ich nicht aus Starrsinn oder Selbstsucht an der Sache Adrian Wyss dranblieb, sondern weil mein Gewissen mich dazu drängte. Ich fühlte mich verantwortlich, wollte mich nicht drücken, musste Zivilcourage beweisen, um mit mir selbst im Reinen zu bleiben. Marc hingegen sah nur eine Frau, die sich einmal mehr tolldreist in Gefahr begab, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf ihn und die Kinder. Und diese Kluft zwischen uns war kaum zu überbrücken.
Später, als ich niedergeschlagen und missmutig am runden Stationstisch beim Oberarztrapport sass, erfuhr ich, dass Marie Lanz von der geschlossenen Station bereits wieder zu uns verlegt werden sollte.
«Die Aufnahmestationen sind nach dem hektischen Wochenende alle übervoll. Die brauchen Platz», kommentierte Jelika lapidar.
Ich nahm diese Neuigkeit mit zwiespältigen Gefühlen zur Kenntnis. Einerseits fürchtete ich, dass die Verlegung verfrüht war, dass Frau Lanz noch nicht in der Lage war, mit dem offenen Rahmen umzugehen. Andererseits hatte ich sie so in meiner Nähe. Das war ein Vorteil.
«Wann wird sie verlegt?»
«Irgendwann am Nachmittag. Genaueres erfahren wir beim Pflegerapport.»
Ich nickte. «Gebt mir Bescheid. Ich will mit ihr sprechen.»
Im grossen Rapport hielt ich nach Martin Ausschau. Ich hatte das intensive Bedürfnis, mit ihm zu sprechen – nach der frostigen Stimmung zu Hause brauchte ich Zuspruch. Ich entdeckte ihn in der Menge und steuerte schon auf ihn zu, als ich sah, dass er in ein Gespräch mit Selma vertieft war, den Kopf vertraulich zu ihr hingeneigt. Abrupt wechselte ich die Richtung und ging an meinen persönlichen Platz am grossen Konferenztisch. Ich fühlte mich entmutigt. Ich hatte nichts gegen Selma, nicht eigentlich, nicht wirklich, aber hier und jetzt konnte ich sie nicht brauchen. Ich wollte Martin für mich allein. Und schämte mich gleichzeitig dafür.
Marie Lanz wurde nachmittags um drei auf unsere Station verlegt. Ich führte das Aufnahmegespräch allein. Die offizielle Version war, dass ich die Pflege entlasten wollte, und das klang glaubwürdig – zwei Pflegefachleute unserer Station waren krank, was die ohnehin prekäre Personalsituation an den Rand des Kollapses schob. Inoffiziell wollte ich die Gelegenheit nutzen, der Frau ohne lästige Zuhörer auf den Zahn zu fühlen.
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